Irgendwann in den Neunzigern habe ich das erste Mal von der Aralsee Katastrophe gehört. Ich konnte einordnen, dass es sich um eine enorme ökologische Katastrophe handelte, irgendwo mitten in Asien. Dann habe ich mir lange keine Gedanken mehr darüber gemacht. Bei der Recherche zu meiner Reise kam das Thema dann wieder auf, da sich der ursprüngliche See über Usbekistan und Kasachstan erstreckte. Kleine Reste sind nach wie vor in beiden Ländern zu sehen. Von Usbekistan aus war es etwas einfacher, wenn auch immer noch ein anstrengender Trip. Zudem ist in der usbekischen Stadt Muynak das Ausmaß der Tragödie besonders gut zu sehen. Darum entschied ich mich für die usbekische Seite. Kurz gefasst ist der See durch enorme Wasserentnahme der zuführenden Flüsse insb. des Amu Darya (früher Oxus, sagt den Geschichtsfans vermutlich etwas) für den Baumwollanbau seit den 1960ern stetig geschrumpft. Der Salzgehalt ist dabei enorm gestiegen, so dass nun kein Leben mehr im südlichen/usbekischen Teil möglich ist. Mittlerweile liegt das Wasservolumen unter 10 Prozent des ursprünglichen Wertes. Aber im nördlichen/kasachischen Teil ist durch Aufstauung ein Wiederanstieg des Wasserspiegels erfolgt. Dies hat allerdings zur Folge , dass der südliche Teil unwiederbringlich verloren ist.
Von Bukhara ging es mit dem Nachtzug nach Nukus. Einer recht großen Stadt mitten im Nirgendwo. Die Zugfahrt war wie zu erwarten großartig. Viererabteil mit drei Usbeken, die permanent mit mir reden wollten. Waren sehr nett, aber ich mega müde, und reden meint wie immer per App oder Zeichensprache. Und meine Gesprächskompetenzen hatten sich dann spätestens erschöpft als einer meinte hey Modern Talking kommt doch aus Deutschland. Super! Äh, ja stimmt wohl, aber super??? Zudem mal wieder super heiß und es wurde etwas sandig wenn man das Fenster aufließ. Dementsprechend unausgeschlafen kam ich dann gegen sieben in Nukus an und bin direkt los auf die Suche nach den letzten Überresten des Aralsees.
Nach einem kurzen Stopp an der Mizdakhan Necropolis ging es in Richtung Muynak. Die Stadt war mal eine große, wohlhabende Stadt am Ufer des Aralsees, die von der Fischindustrie und dem Seetourismus gelebt hat. Heute ist dort nichts mehr los, laut Guide gibt es ein großes Alkoholproblem unter der Bevölkerung wie häufig in Regionen in denen die Perspektiven fehlen. Die paar Touristen, die die traurigen Überreste des Wohlstands sehen wollen, reichen nur für wenige Menschen. Ein kleines Museum zeigt Bilder und Exponate aus der Vergangenheit. Unter der ehemaligen Uferpromenade liegen abgewrackte Schiffe im salzigen Wüstensand. Es ist heiß, die Luft trocken und Salzaerosole brennen in den Augen. Da der Wind das zurückbleibende Salz verweht, sind auch weiter entfernt liegende Regionen nicht mehr für die Landwirtschaft geeignet. Ist vielleicht auch besser so, ist ja auch kein Wasser da. In der Umgebung von Nukus wird nach wie vor intensive Bewirtschaftung betrieben, sogar Nassreis wird angebaut. Kein Wunder, dass die kasachische Regierung der Meinung war, der südliche Teil ist ohnehin verloren, dann wenigstens den nördlichen retten. Hat der bilateralen Beziehung aber nicht ganz so gut getan.



Von Nukus geht es off-road über den ehemaligen Seeboden nun begleitet von zahlreichen Ölfördertürmen. Anscheinend haben die Usbeken nicht so viel davon, da die Förderung durch chinesische Unternehmen erfolgt. Nach endloser Fahrt durch ödes Land zeigt sich am Horizont das Ustyurt Plateau. Von oben zeigt sich ein kleiner Canyon, der eine willkommene Abwechslung bietet und eindrucksvoll die verschiedenfarbigen Sedimentschichten des ehemaligen Meeresbodens des Tethys Meers zeigt. Nur ganz kurz, war ein Meer als die Kontinentalplatten zwischen Europa und Asien noch nicht verbunden waren. Als sie kollidierten lief das Wasser des Meeres ab und nur ein paar Reste blieben zb der Aralsee. Darum ist er auch Salzhaltig. Jetzt aber genug, ist ja nicht jeder so ein Geographiefreak wie ich 😉






Lange hatten wir drauf hin gefiebert und dann kam nach einer Wegbiegung ganz unerwartet der erste Blick auf den See. Tiefblau mitten in der Wüste. Das hatte schon was. Natürlich musste ich auch Schwebeeffekt des Salzhaltigen Wassers testen. Funktioniert so wie am Toten Meer. Da ich dort noch nie war, war das natürlich was besonderes und mega witzig. Am Ufer war nochmal der extreme Wasserrückgang zu sehen. Der Steg, der vergangenes Jahr noch ins Wasser ragte, diente jetzt ca. fünf Meter vom Wasser entfernt nur noch als Ablage für die Handtücher. Übernachtet habe ich dann in einer klassischen Jurte in einem irgendwie auch klassischen Touristencamp. Zum Glück gab es dort eine mehr oder weniger funktionierende Dusche. Mit den Salz, das sich in Haaren und auf der Haut angesammelt hat, hätte man ganze Buffets würzen können. Die Jurte war super und ich habe nach dem anstrengenden Tag geschlafen wie ein Murmeltier. Allerdings nur bis 4:15 Dann ging es zum Sonnenaufgang.



Am nächsten Tag ging es dann über ein paar Grabfelder und Überreste einer befestigten Karawanserai zurück nach Nukus. Die Region entlang des Aralsees wurde früher sowohl von Nomaden genutzt als auch von sesshafter Bevölkerung besiedelt. Das waren wohl einerseits recht rabiate Zeiten von Raubzügen, andererseits lebten Nomaden und Siedler aber auch in Symbiose und betrieben Handel untereinander. Glücklicherweise hatte ich eine Guide dabei, der Archäologe ist und somit konnte ich noch einiges dazulernen. Im Camp habe ich auch eine Gruppe von College Studierenden der Fachrichtung russische Regionalwissenschaften aus New York getroffen, die eine Art Exkursion gemacht haben. Deren Guide war Geologe und hast abends noch einen Vortrag gehalten. Während die anderen sich darüber beschwert haben, dass er damit ja das ganze Camp unterhalten würde (ach nee) habe ich natürlich fasziniert zugehört.






Zurück in Nukus habe ich dann einen Tag das kühle, nicht salzige und nicht sandige Hotel genossen. Das war übrigens das erste Mal, dass ich die Klimaanlage benutzt habe. Vom Salz und der Helligkeit der beiden Tage am See/Wüste hatte ich am nächsten Tag komplett geschwollene Augen. Hat einer usbekischen Touristengruppe nichts ausgemacht, die wollten trotzdem ein Foto mit mir machen. Habe ihnen die Freude gemacht und mich gefragt ob ihnen wirklich nicht aufgefallen ist, dass ich aussehe wie Quasimodo. Da Montag war, war eh nichts anderes als im Hotel abhängen angesagt. Die einzige Attraktion in Nukus, das Kunstmuseum, hatte nämlich geschlossen. Ich habe mich dann mit meinen beiden Reisegefährten, die ich aus Georgien kannte zusammengetan um ein Taxi nach Khiva (s. voriger Eintrag) zu teilen. Da wir alle noch ins Museum wollten, sind wir da schnell Dienstagmorgen noch hin und dann mit dem Taxi los. Die Kunstwerke waren auf jeden Fall die Verzögerung wert. Noch beachtlicher ist allerdings die Geschichte des Museums. Der Künstler und Kurator Igor Savitsky hat es geschafft trotz der sowjetischen Repressionen eine der größten und vielfältigsten Sammlung sowjetischer Gegenwartskunst aufzubauen. Dabei hat er insbesondere Künstlern der Region Karakalpak (Region um Nukus) die Möglichkeit zur Ausstellung gegeben.
Puh, werden die Einträge jetzt immer so lang?




28.06.2023